Ich fürchte, es ist an der Zeit, mal etwas Emotionales zu schreiben. Etwas, das mir auf der Seele brennt, etwas, von dem ich weiß, dass es auch andere Autor*innen auf der Seele brennt. In den letzten Tagen habe ich mich ein paar meiner Kolleg*innen über Themen gesprochen, die ich gerne loswerden will, weil ich glaube, dass es wichtig ist. Wichtig für die Kolleg*innen, die sich oft viel zu wenig klarmachen, dass sie nicht allein sind (und nicht vollkommen verrückt), aber ebenso wichtig für unsere Leser*innen, für die es oft nicht unbedingt nachvollziehbar ist, wenn sich Personen für längere Zeit aus Social Media zurückziehen, wenn Erscheinungstermine verschoben werden müssen und so weiter. Denn wie sollen sie auch? Sie stecken nicht in uns drin. Und deswegen habe ich mich dazu entschieden, einen kleinen Einblick zu geben in dieses schöne, aber nervenzehrende Autor*innenleben.
Wenn meine Figuren lebendig werden
Ihr wisst, dass es für mich nichts Schöneres gibt als den Autor*innenberuf. Ich liebe es, wenn meine Welten entstehen, meine Figuren lebendig werden. Wenn meine Bücher dann raus in die Welt gehen und die Geschichten, die so lange nur in meinem Kopf waren, tatsächlich Leser*innen finden. Dass viel Arbeit in so einem Buch steckt, ist vermutlich jedem klar. Dass einer Manuskriptabgabe schlaflose Nächte, extrem anstrengende (und oft einsame) Tage vorausgehen, kann man sich vielleicht denken. Aber die immense emotionale Gewalt, die dieser gesamte Schreibprozess innehält, ist etwas, das auf den ersten Blick wahrscheinlich nicht unbedingt nachvollziehbar ist.
Ich kann in diesem Beitrag nur für mich sprechen, aber ich weiß aus Gesprächen, dass es sehr sehr vielen anderen ebenso geht. Das Geheimnis meiner Figuren und meiner Geschichten ist, dass ich mich ohne Einschränkung darauf einlasse. Das bedeutet: auch ohne, emotionale Grenzen zu ziehen. Während ich im Manuskript stecke, während ich daran arbeite, bin ich meine Figuren. Ich sehe, was sie sehen, höre, was sie hören, schmecke, was sie schmecken, und fühle, was sie fühlen. Das reicht von himmelhochjauchzend zu Weltuntergangsstimmung, von Glückseligkeit zu einer unendlichen Traurigkeit. Oft innerhalb weniger Seiten, innerhalb weniger Stunden. Solche Schreibsessions sind im besten Fall kathartisch, in jedem Fall emotional auslaugend. Erst gestern habe ich eine Szene geschrieben, bei der ich die Trauer so sehr nachempfunden habe, dass mir körperlich schlecht wurde. So richtig schlecht. Wenn ich die Szene heute noch mal lese, weiß ich, dass ich es richtig gemacht habe, denn die Gefühle, die ich gespürt habe, kommen im Text rüber. Aber im Moment des Schreibens? War es eine Folter.
Sicherheit vs. Freiheit
Nun ist es außerdem so, dass man als Autor*in zwei Möglichkeiten hat, zu überleben: Entweder man hat einen Job neben dem Schreiben und ums Schreiben herum. Meistens tatsächlich (wie auch bei mir) ein Vollzeitjob. Allerdings ist das Schreiben eigentlich auch ein Vollzeitjob. Viele von uns Autor*innen haben also genau genommen zwei Vollzeitjobs. Einen, der Sicherheit gibt, und einen, der einem alles andere gibt, inklusive emotionaler Ausgelaugtheit. Wenn man das nicht möchte, kann man natürlich freiberuflich als Autor*in arbeiten. Mit ein paar Zusatzangeboten (Lektorat, Korrektorat, Grafikdesign – das sind wohl die gängigsten Kombinationen), kann man sich tatsächlich auch so über Wasser halten. Man tauscht Sicherheit gegen Freiheit. Was auf den ersten Blick sehr erstrebenswert wirkt, bedeutet auf den zweiten allerdings ebenfalls Stress. Denn neben der Arbeit sorgt man sich nun um den nächsten Auftrag. Um die schlaflosen Nächte kommt man auch in diesem Szenario nicht herum.
Parallel zum Job, zu den Aufträgen, zum Schreiben und zur Schlaflosigkeit passieren – im besten, im luxuriösesten Fall – irrsinnig viele Dinge parallel. Bücher erscheinen, wir überarbeiten Manuskripte, korrigieren Druckfahnen, lesen Rezensionen, die manchmal regelrecht lähmen, haben Liebeskummer, wenn wir von Protagonisten Abschied nehmen müssen, und schreiben, schreiben, schreiben. Weil wir nicht anders können, weil wir es brauchen. Manchmal scheint mir das Schreiben wie eine Droge zu sein. Manchmal ist es Heilung, manchmal Fluch. Aber es ist etwas, das immer da ist. Weil es nicht anders geht – und weil uns Deadlines im Nacken sitzen.
Verständnis für die Nöte anderer
Dass all dies ab und zu dazu führt, dass man nicht mehr kann, dass man sich ausgebrannt fühlt, dass man weitermacht, obwohl das Gehirn lautstark sagt, dass man eine Pause braucht, ist eine natürliche Konsequenz aus all dem eben Beschriebenen. Bei den einen äußert sich das in Erschöpfungszuständen und depressiven Phasen, bei anderen schiebt der Körper selbst einen Riegel vor, indem er krank wird und uns zu einer Pause zwingt. Nichts davon gehört zu unserem Plan. Nichts davon suchen wir uns aus. Genauso wenig wie Lehrer, Krankenpfleger oder Sozialarbeiter (random Auswahl, die nur dazu dienen soll, zu verdeutlichen, dass es nicht nur Autor*innen so geht) sich aussuchen, ausgebrannt zu sein. Glücklicherweise kommt es nur selten zu einem Burnout. Glücklicherweise gibt es viele Vorstufen, die uns wissen lassen, dass wir Grenzen setzen müssen. Dass wir kürzer treten, auf uns achtgeben sollten. Und wenn es nur für ein paar Wochen ist, um den Kopf freizubekommen.
Aber man muss es uns gestatten. Man muss es uns nachsehen. Man muss Verständnis für die Nöte anderer aufbringen (und ich spreche hier bewusst allgemeiner), ohne zu verurteilen. Man sieht immer nur die Spitze des Eisbergs. Was sich unter der Wasseroberfläche verbirgt, kann man höchstens erahnen. Eine Auszeit auf Social Media, eine verschobene Deadline, ein abgebrochenes Projekt, all diese Dinge können helfen, gesund zu bleiben oder wieder gesund zu werden. Und das sollte für alle im Vordergrund stehen. Persönliche Grenzen abzustecken ist der erste Schritt, der zweite ist, wenn schon nicht Anerkennung, dann doch wenigstens Akzeptanz entgegengebracht zu bekommen, um sich nicht auch noch mit einem schlechten Gewissen rumschlagen zu müssen.
Und obwohl das alles dramatisch klingt, ist und bleibt es für mich der schönste Beruf der Welt. Die schönste Berufung. Denn die Entbehrungen sind es wert. Solange die Grenzen, die ich mir stecke – die Grenzen, die andere sich stecken – respektiert werden und wir alle gesund und munter bleiben, weiß ich, dass ich einen Traum lebe, dass ich immens privilegiert bin. Aber manchmal eben auch müde.