Als der Piper Verlag bei mir zu Besuch war

Vor einiger Zeit habe ich Besuch vom Piper Verlag bekommen. Denn im Piper-Reader sollte ein Werkstattbericht über mich erscheinen. Eine ungewohnte Situation für mich, schließlich lasse ich nicht alle Tage fremde Leute in meine Wohnung. Allerdings war es eine gute Möglichkeit, die eigenen vier Wände mal aus einer völlig neuen Perspektive wahrzunehmen. Was denkt man eigentlich, wenn man zum ersten Mal zu mir nach Hause kommt? Was sagt meine bunt zusammengewürfelte Einrichtung aus Jugendstil-Möbeln und Sperrmüllfundstücken über mich aus?

Ein Raum ohne Bücher ist nichts für mich

Als ich meine Gäste ins Wohnzimmer führe, bewundern sie als erstes die deckenhohen Bücherregale. „Ein Raum ohne Bücher ist nichts für mich“, sage ich. „Wenn ich bei Leuten eingeladen bin, schaue ich immer zuerst, ob es Bücher gibt.“ Ich ernte uneingeschränkte Zustimmung! Buchmenschen unter sich.

Schnell dreht sich das Gespräch um meine eigenen Bücher. In meinem ersten Roman lasse ich die Protagonisten ihre drei Lieblingsbücher aufzählen. Aber was sind meine? „Die Abenteuer des Huckleberry Finn ist auf jeden Fall in den Top Drei“, sage ich. „Weil ich bei der Lektüre zum ersten Mal begriffen habe, wie Charakterzeichnung funktioniert. Außerdem Sturmhöhe von Emily Brontë. Es ist einfach so gewaltig, was die Atmosphäre anbelangt, dass ich mich dem nicht mehr entziehen konnte.“ Beim dritten Buch überlege ich kurz. „Als Letztes muss unbedingt noch Jane Austen in die Reihe, mit Emma – dem Roman, der meine Liebe zur Autorin begründet hat, als ich fünfzehn oder sechzehn war.“ Mister Knightley war außerdem mein erster literary crush

Als nächstes zeige ich meinen Balkon mit den diversen selbstgezogenen Pflanzen. Tomaten, Hopfen, ein inzwischen mannshoher Kirschbaum. 

Doch es ist mein Insektenhotel, das das Interesse meiner Besucher weckt. „Darin nisten Mauerbienen“, erkläre ich. „Als alle Röhren besetzt waren, sind die Bienen letztes Jahr auf andere Löcher ausgewichen. Eine hat sich das Bambusgestell meines Zitronenbaums ausgesucht. Das wusste ich natürlich nicht. Als ich ihn im Winter reingeholt habe, dachte die Mauerbiene, dass Frühling ist. Sie ist geschlüpft und ich musste sie mit Honig aufpäppeln. Die Biene durfte dann noch einige Wochen in meinem Kühlschrank überwintern.“ Ob ich allgemein ein Herz für Tiere habe? „Mein Kater, der mittlerweile leider nicht mehr lebt, war ein traumatisiertes Findelkind aus dem Tierheim. Außerdem hatte ich bis vor Kurzem eine Patenschaft für einen alten Esel namens Gareth.“

Ich habe mit fünf Jahren Lesen gelernt. Und von da an waren die Bücher immer da.

Zurück im Wohnzimmer sprechen wir wieder über mein Schreiben. Ich erzähle, dass ich bis vor einem Jahr noch dachte, ich hätte kein Interesse am Schreiben. Dann zeige ich meinen Gästen, wo ich meine Geschichten ‚zu Papier‘ bringe. Mein Arbeitsplatz ist ein antiker Holztisch mit Schubladen und Türen. An der Wand hängen Bilder meiner Lieblingsautoren: Mark Twain, Carson McCullers, Hendrik Ibsen. Mein Laptop wird auf der einen Seite von einem ungeordneten Papierstapel flankiert auf der einen Seite liegen Eintrittskarten zu einem Fußballspiel. Als ich die fragenden Blicke bemerke, erkläre ich: „In meiner Brust schlagen zwei Herzen. Ich bin introvertierter Büchermensch, der sich tagelang in fremde Welten zurückzieht. Aber gleichzeitig gehe ich auch gerne mal ins Fußballstadion und schreie mir die Seele aus dem Leib.“

Schließlich setzen wir uns an meinen großen Esstisch im Wohnzimmer. Ich biete Kaffee, Saft, Münchner Leitungswasser („Das beste auf der Welt!“) oder selbstgemachtes Ingwerbier an.

Woher meine Liebe zur Literatur kam? „Meinen Brüdern und mir wurde jeden Abend vorgelesen. Aber das hat mir nie gereicht. Also habe ich mit fünf Jahren Lesen gelernt. Und von da an waren die Bücher immer da. Mich faszinieren die Möglichkeiten, die man mit Sprache hat. Die Fähigkeit, Welten zu erschaffen, Atmosphäre zu erzeugen, Leser in einen Text hineinzuziehen, sodass sie ein Zuhause finden, während sie lesen.“

Und wenn es mal nicht läuft? „Dann ist es am besten, wenn ich etwas mit den Händen mache. Zum Beispiel Ingwerbier brauen und Stühle bemalen.“ Ich zeige auf einen schwarzen Stuhl, auf dem ein Gedicht von Stephen Crane steht. Das Herz heißt es, und ich habe es selbst vor zehn Jahren mit Ölfarbe darauf gepinselt. Auf dem Balkon wartet ein weiterer Stuhl auf neue Bemalung. Vielleicht bei der nächsten Schreibblockade. „Manchmal gehe ich aber auch einfach spazieren, um auf andere Gedanken zu kommen. Fun Fact über mich: Im Herbst laufe ich kleine Umwege um auf besonders schön knisternde Blätter zu treten, weil ich das Geräusch so liebe.“

Wenn ihr also im Herbst eine seltsame Frau dabei beobachtet, wie sie verschieden große Schritte oder auch Aufallschritte hierhin und dorthin macht, scheinbar unmotiviert ein paar Meter zurückgeht und überraschende Kurven läuft, bin das sehr wahrscheinlich ich auf der Suche nach Inspiration.

© Sophie Anfang

Kathinka Engel

Kathinka Engel liest, seit sie fünf Jahre alt ist. Neben der Literatur liebt sie außerdem: alles, was bunt ist, Abenteuerreisen, Die drei ???, gute Kneipen, Besuche im Fußballstadion und das Rascheln trockener Blätter im Herbst.

Der neue Roman

Ein Kommentar

  1. Dr. Mukick

    Blätterrascheln ist wichtig!

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